Ich gehe die letzten Meter auf dem Wanderweg, bis er in die Bucht mündet und Sand den Trampelpfad ablöst. Dieser Ort ist ein wahrer Augenöffner! Nur ein Foto zu machen und dann weiterzuziehen wäre eine Sünde. Hier möchte ich eine Weile bleiben, Pause machen und vielleicht ins Wasser springen. Nichts drängt mich, weil ich für heute nichts als diese Wanderung geplant habe. Und so setze ich mich auf einen Baumstumpf und sauge die atemberaubende Natur vor mir ein. Ich beschließe, dass ich diesen Moment festhalten will und zücke mein Reisetagebuch. Mit wenigen Strichen skizziere ich die Formationen der Felsen und der vorgelagerten kleinen Insel. Mit den Wasserfarben in meiner Zigarettendose versuche ich, die richtige Farbe des Meeres zu treffen und die Schatten der Felsen zu stilisieren. Perfekt ist es nicht, aber das weiß ja nur ich.
Ich habe mir ein System angewöhnt, um so organisiert und schnell wie möglich an mein Ziel zu kommen - da ist es hilfreich, alles griffbereit zu haben. Mein Reisetagebuch enthält meine Reiseunterlagen und wichtigen Dokumente als Kopien, sowie eine Sammlung von Kontakten und Adressen, falls mein Handy den Geist aufgeben sollte. Technik ist zwar super, aber sicherer fühle ich mich auf langen Reisen immer noch, wenn ich das Wesentliche in Papierform mitführe!
Die wichtigsten Dinge sind geordnet und jederzeit griffbereit: Passkopie, Notfallkontakte, alle Checklisten und Pläne, die noch zu Hause entstanden sind. Unterwegs fülle ich mein Reisetagebuch mit allem, was ich festhalten möchte. Einträge von den täglichen Ausflügen, Eintrittskarten, eingesammelte Kleinigkeiten – alles findet sich später wieder in meinem Tagebuch. Um dem Ganzen noch eine künstlerische Note zu verleihen habe ich angefangen, kleine Illustrationen vor Ort anzufertigen. Dazu trägt mein Tagebuch inzwischen seinen eigenen Rucksack mit den Wasserfarben und Stiften.
Meine Illustration habe immer nur ich und niemand sonst. Keiner malt aus meiner Perspektive deshalb ist jedes Bild einzigartig. Dinge, die mich auf einem Foto stören würden, kann ich einfach weglassen. Ich kann mit Stil und Farben spielen und kann mir an Ort und Stelle Zeit lassen. Bei der Sagrada Familia in Barcelona habe ich eine gute Stunde auf jemanden gewartet und die Zeit mit Malen überbrückt. Niemand hat mich vertrieben oder gedrängt weiterzugehen, weil alle sahen, dass ich beschäftig war. Vielmehr haben sich einige Touristinnen zu mir gestellt und eine Weile beobachtet, wie ich die Fassade zu zeichnen versucht habe. So bin ich leicht mit den Leuten ins Gespräch gekommen und habe mich sehr gut unterhalten. Einmal habe ich bei so einer Gelegenheit sogar ein Bildchen verkaufen können und habe gleich darauf dasselbe Motiv wieder für mich gemalt.
Noch immer nehme ich mein Reisetagebuch öfter mal in die Hand und schwelge in den vergangenen Reisen. Die Notizen von unterwegs, manchmal witzige Anekdoten, die niemand sonst interessieren würden oder einfach nur der Reiseverlauf werden so wieder lebendig. Das ist etwas, das ein Fotobuch nicht zustande bringen kann. Der Zauber eines Reisetagebuchs ist für mich viel wertvoller als hochauflösende Bilder, weil ich in diesen besonderen Momenten mehr gesehen habe, als eine Kameralinse aufnehmen könnte und allein das ist es wert, das zusätzliche Gewicht des Reisetagebuchs durch die Welt zu schleppen.
Text & Bild: Karin Haberl, Reise-Expertin Idealtours